Pressemitteilung

02.Juli 2021 - Gesundheit / Pflege

Haußmann: Situation der 24-Stunden-Betreuungskräfte muss stärker in den Blick

Austausch mit Unternehmen zur Vermittlung von Betreuungskräften.


Nach einem Grundsatzurteil des Bundesarbeitsgerichts muss den oft aus Osteuropa kommenden Haushaltshelfern und -helferinnen der Mindestlohn gezahlt werden – auch für Bereitschaftszeiten. Was bedeutet das für die sogenannte „24-Stunden-Pflege“, in der in Deutschland schätzungsweise bis zu 500.000 Betreuerinnen und Betreuer tätig sind?

Der gesundheitspolitische Sprecher der FDP/DVP Fraktion, Jochen Haußmann, im Gespräch mit Oliver Weiss, Geschäftsführer der Firma Mecasa, einem Unternehmen im Bereich der Vermittlung von Betreuungskräften aus dem europäischen Ausland für den Bedarf von Privathaushalten nach Qualitätsstandards.

Haußmann: Bei uns geht es aktuell um die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes, das gerade für Furore über viele Verbände hinaus gesorgt hat. Viele sagen: das führt jetzt zu großen Schwierigkeiten im Bereich der Häuslichen Betreuung. Wie schätzen Sie die Auswirkungen dieses Urteils ein?

Weiss: Ehrlich gesagt war das, was das Gericht hier entscheiden hat, eigentlich schon geltendes Recht. Für mich ist das insofern nichts Neues. Ich begrüße das Urteil, das ist absolut wünschenswert. Das zeigt unserer Branche, was wichtig und richtig ist, vor allen Dingen angesichts dessen, dass es so viele Schwarze Schafe gibt. In diese Richtung geht auch das Urteil. Es sind sehr viele, die schwarz arbeiten oder sich in einer Grauzone bewegen. Die sich eben nicht klar um die Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes bemühen. Außerdem bringt es mehr Aufmerksamkeit in diese Branche.

Sie und die FDP-Fraktion haben sich dieses Themas schon angenommen, aber viele andere Parteien haben das bisher vermieden und jetzt nimmt natürlich der öffentliche Druck zu. Das ist erfreulich.

Haußmann: Ich kann das nur unterstreichen. Wir haben 2014 in der FDP-Landtagsfraktion ein Positionspapier zur Häuslichen Pflege entwickelt. Ich war in der vorletzten Legislaturperiode Mitglied in der Enquetekommission „Pflege“ des Landtags. Wir haben uns mit dem Thema intensiv beschäftigt. Ich war damals in Österreich und habe mir das Modell der dortigen Regierung angeschaut. Daraus haben wir ein Positionspapier entwickelt, in dem es eben darum geht, diese Grauzone, die Sie gerade auch beschrieben haben, durch ein Fördermodell zunächst mal kenntlich zu machen: indem man klar die Tätigkeitsfelder der Betreuungskräfte definiert und indem man den Mut hat zu sagen, was man beispielsweise beim Arbeitszeitgesetz ändern muss, wie es Österreich gemacht hat.

In der Enquetekommission haben wir damals keine Mehrheit dafür gefunden. Wir haben es in der letzten Legislaturperiode dann nochmal aufgerufen. Durch das Urteil nun wird die Situation in der bestehenden Grauzone, bei der 24-Stunden-Kräfte zum Teil rund um die Uhr tätig sind, wieder stärker in den Blick genommen.

Sie haben sich intensiv mit Qualitätskriterien bei der 24-Stunden-Betreuung beschäftigt. Ihre Rolle als Vorreiter Ihrer Branche kam auch groß in den Medien. Was waren da Ihre Ansätze?

Weiss: Als wir mit der Firma Mecasa starteten haben wir festgestellt, dass in dieser Branche eigentlich Zustände herrschen wie im Wilden Westen. Wir haben uns gefragt, was wir verbessern können und ob wir das auch als kleiner Anbieter durchsetzen können. Wir haben uns dann mit dem Deutschen Institut für Normen in Berlin zusammengetan und dort einen DIN-Standard für die Branche initiiert. Den haben wir dann zusammen mit Pflegewissenschaftlern und -wissenschaftlerinnen, Stiftung Warentest, Juristinnen und Juristen über eineinhalb Jahre lang entwickelt und er wurde jetzt im Februar veröffentlicht. Er gibt damit zum ersten Mal ganz klare Richtlinien vor: Für Vermittlungsunternehmen, aber auch für die ausländischen Dienstleistungserbringer selbst.

Haußmann: Das ist ein Modell, das Schule machen sollte und das wichtig ist für den Eintritt anderer Unternehmen in diesen Bereich.

Wenn wir jetzt auf die Pflege insgesamt schauen, dann haben wir die demografische Entwicklung, die wir jetzt schon absehen können. Wir wissen jetzt schon, wie sich die Zahl der Pflegebedürftigen entwickeln wird und haben die Herausforderungen beim Pflegepersonal. Die Corona-Pandemie hat das nochmal deutlich gezeigt.

Können Sie die Herausforderungen auch aus Ihrer Sicht aufzeigen und sagen, wie Sie die Lösungsansätze in der Pflege insgesamt sehen?

Weiss: Sie haben es schon angesprochen: Die Zahl der Pflegebedürftigen nimmt stark zu. Die geburtenstarken Jahrgänge kommen dabei ja erst noch. Gleichzeitig haben wir einen riesigen Mangel an Pflegepersonal, also an ausgebildeten Fachkräften in Deutschland. Diese Lücke kriegen wir trotz aller Bemühungen nicht so schnell geschlossen. Aus meiner Sicht wird es daher immer mehr darauf ankommen, informelle Formen der Pflege zuzulassen und einzubinden. Sei es in Form der pflegenden Angehörigen, die derzeit sowieso schon eine Riesenlast schultern, aber eben auch durch Personal aus anderen Ländern, das fortgebildet wird, aber eben kein Fachpersonal mit einer umfangreichen Ausbildung ist. Der Ansatz sollte sein, vor allem Integration zu schaffen, das heißt verschiedene Versorgungsformen in einem Pflegenetzwerk zu bündeln. Mit ambulantem Pflegedienst, mit Tagespflege, mit Betreuungskräften aus dem Ausland, mit Angehörigen, die ein wenig übernehmen können. In dieser Art und Weise sollte dann die Versorgung gesichert werden, am besten auch mit Einbeziehung digitaler Lösungen, z.B. mit DiPAs, den neuen digitalen Pflegeanwendungen, die der Bund ins Leben gerufen hat und die von der Pflegekasse finanziert werden. Es muss der Ansatz für die Zukunft sein, da organisierte Lösungen zu schaffen und geschickt auf den Schultern zu verteilen.

Haußmann: Für uns ist es ein Anliegen, diese Thematik in die bevorstehende Enquetekommission des Landtags zur Analyse der Corona-Pandemie mit aufzunehmen. Im Einsetzungsantrag wird die Ausrichtung bereits definiert und für uns ist es ein wichtiger Ansatz, nicht nur den stationären klinischen Bereich in den Blick zu nehmen, sondern eben auch den pflegerischen Bereich. Insofern ist es ein guter Ansatz, hier diese Thematik nochmals aufzugreifen neben anderen Schwerpunkten, die wir als Fraktion im Blick haben.

Vielen Dank für Ihren Impuls. Ich bin sicher, dass wir dieses Thema in den kommenden Wochen und Monaten nochmals vertiefen werden. Es ist beeindruckend, wie Sie mit Ihrem jungen Unternehmen in einer Branche hineingehen und zeigen, dass es hier gute Ansätze gibt, die für Angehörige, für Pflegebedürftige und eben auch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Pflege und Betreuung sehr wichtig sind.

Weiss: Vielen Dank für die Einladung und Ihre Bemühungen um das Thema Pflege. Es ist gut, einen Partner und Unterstützer auf der politischen Seite zu haben.

 

Zur Aufnahme des Gesprächs.