Pressemitteilung

13.Juli 2008

Noll: Bei Verdacht auf Kindesmissbrauch lieber einmal zuviel hinschauen

Kinderschutzkongress im Landtag – Behörden vernetzen – Erziehungskraft der Eltern stärken – „Wenn es um das Kindeswohl geht, dann sollten wir bei einem Missbrauchsverdacht lieber einmal zuviel als zu wenig hinschauen – dies hat mit Denunziantentum nichts zu tun.“ Dies sagte der Vorsitzende der baden-württembergischen FDP/DVP-Landtagsfraktion, Dr. Ulrich Noll, auf dem Kinderschutz-Kongress der Fraktionsvorsitzendenkonferenz der FDP-Fraktionen im Bund und den Ländern im Stuttgarter Landtag. Wie Noll sagte, gebe es in der Öffentlichkeit immer wieder Beschwerden über zu frühes Eingreifen der staatlichen Behörden – „aber diese haben eher unsere Hilfe als irgendwelche Beleidigungen verdient.“

Nach den Worten von Noll muss im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe das Rad nicht immer wieder neu erfunden werden. Es gehe vielmehr darum, vor Ort die bestehenden Einrichtungen besser zu vernetzen. Häufig scheiterten Kooperationen der einzelnen Träger aufgrund der unterschiedlichen Finanzierungssysteme. Deshalb müssten die Prioritäten in den Haushalten von Bund, Ländern und Kommunen neu gesetzt werden. Noll sagte weiter, dass in der Prävention nicht die Androhung von staatlichen Sanktionen im Vordergrund stehen sollte. „Wir müssen den mit der Kindererziehung überforderten Eltern durch Angebote helfen, wir müssen sie in ihrer Erziehungskraft stärken. Ich bin überzeugt, dass wir mit dem in Baden-Württemberg auf den Weg gebrachten Programm „Stärke“ einen Schritt in die richtige Richtung machen.“ Die FDP-Bundestagsabgeordnete Miriam Gruß setzte sich für die Verankerung der Kinderrechte im Grundgesetz ein. Zwar gebe es im Bundestag noch keine Zwei-Drittel-Mehrheit für eine Grundgesetzänderung, „doch ich werbe gemeinsam mit meinen Kolleginnen und Kollegen aus der Kinderkommission um Mitstreiter innerhalb der Bundestagsfraktionen“. Nach den Worten der Sprecherin für Kinder und Jugend der FDP-Bundestagsfraktion „sind Kinder Grundrechtsträger, aber es besteht kein Zweifel darüber, dass vor allem Kinder des besonderen Schutzes und der Förderung ihrer Entwicklung bedürfen“. Gerade vor dem Hintergrund der jüngsten Fälle von Misshandlung und Vernachlässigung zeige sich erneut, dass Kinder das schwächste Glied in der Kette sind. Mit der Verankerung der Kinderrechte im Grundgesetz würde ein klares Signal an Politik, Justiz und Gesellschaft gesendet und klargestellt: „Kin-der sind eigenständige Persönlichkeiten mit eigener Würde und dem Anspruch, ihre Individualität anzuerkennen.“ Bei den Eltern müsse auch für die Einhaltung der empfohlenen Vorsorgeuntersuchungen und Impfungen geworben werden. Gruß: „Skeptisch bin ich allerdings, wenn Vorsorgeuntersuchungen zur Pflicht gemacht würden.“Laut Prof. Dr. Harald Bode, der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin, kann der Verlust oder Mangel an elterlicher Pflege und Zuwendung bei Kindern körperliche und psychische Folgen auslösen. Diese Deprivation lasse sich in Tierversuchen sogar an Veränderungen der Gehirnstruktur nach-weisen. Es erfolge in manchen Fällen eine chronische Umprogrammierung des Gehirns. Posttraumatische Stress-Syndrome könnten Menschen ein Leben lang begleiten. Diese emotionale Vernachlässigung gehe durch alle sozialen Ebenen. Auch Kindesmisshandlungen könnten sich in jedem Sozialmilieu zutragen, es sei aber auffällig, dass bildungsferne Schichten – geprägt von sozialem Stress und Armut – in vielen Fällen betroffen seien. Auch Harald Bode sprach sich für den Aufbau eines Netzwerkes aus, das von der Geburtshilfe über Kinderkrankenschwestern, Ärzte, Kinderkrippen, Kindergärten bis hin zu den Schulen geknüpft ist. Roland Kaiser, der Leiter des KVJS-Landesjugendamtes (Kommunalverband für Jugend und Soziales Baden-Württemberg) berichtete, dass sein Verband von der Landesregierung beauftragt wurde, eine Qualifizierungsoffensive zum Schutz von Kindern durchzuführen. Hierfür stehen für die Jahre 2008 und 2009 insgesamt 600.000 Euro zur Verfügung. Weiter habe der KVJS im Jahr 2006 zusammen mit der Uniklinik Ulm das Modellprojekt „Guter Start ins Kinderleben“ initiiert. In Pforzheim und im Ostalbkreis werden noch bis Oktober 2009 durch frühzeitige Förderung die Beziehungs- und Erziehungskompetenz von Eltern gezielt gestärkt und bereits bestehende interdisziplinäre Kooperationsformen und Vernetzungsstrukturen der Hilfeangebote weiterentwickelt. Schließlich startet am 1. September dieses Jahres das Landesprogramm „Stärke“. Hier wird die Elternkompetenz unter anderem durch einen Gutschein in Höhe von 40 Euro für Bildungskurse und durch Unterstützung für Familien in besonderen Lebenssituationen gestärkt. Der Finanzrahmen beträgt im Jahr 2008 1,5 Millionen Euro, ab 2009 jeweils vier Millionen Euro pro Jahr.In Niedersachen kommen nach den Worten von Prof. Dr. A. Windorfer von der Stiftung „Eine Chance für Kinder“ Familienhebammen zum Schutz des Kindeswohles zum Einsatz – dieses Projekt habe sich inzwischen zum Erfolgsmodell gemausert. Die Hebammen hätten in ihren Bezirken eine Lotsenfunktion und stellten in der Viel-falt der Sozialverbände ein zentrales Puzzle-Stück dar. Dieses Modell rechne sich für die Kommunen, die Finanzierungskosten seien gering. Dr. Birgit Berg sagte als Referatsleiterin des Landesgesundheitsamtes im Regierungspräsidium Stuttgart, dass es am Weltmaßstab gemessen ein Glück sei, Kind in Deutschland sein zu dürfen. Für eine gedeihliche Entwicklung der Kinder seinen musische und andere kulturelle Einflüsse mehr als wichtig. Die Erwachsenen sollten den Kindern die Möglichkeit geben, an der Gesellschaft teilzunehmen, damit sich soziales Denken und Handeln bilden könne. Der Kongress stand unter der sachkundigen Diskussionsleitung von Gesine Meißner, der sozialpolitischen Sprecherin der FDP-Fraktion im niedersäch-sischen Landtag, und Dr. Hans-Peter Wetzel, dem rechtspolitischen Sprecher der FDP/DVP-Landtagsfraktion in Baden-Württemberg. Nachhaltigen Eindruck hinterließ die Aufführung des „Präventionstheaters Eukitea“ (Spielwerk Theater Diedorf, Bayern). Ihr Stück hieß: Mein Körper ist mein Freund.

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