Pressemitteilung

03.Juli 2013 - Haushalt
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Öffentliche Anhörung “Schuldenbremse” – Statement Bund der Steuerzahler

Sehr verehrte Damen, sehr  geehrte Herren,

 

fast exakt sechs Jahre (21.06.2007) ist es her, dass die FDP/DVP Fraktion des baden-württembergischen Landtags eine Anhörung zum Thema „Schuldengrenze in der Verfassung“ veranstaltet hat. Seitdem hat sich viel getan. Auf Bundesebene wurde die Schuldenbremse im Grundgesetz verankert.

Nach Artikel 109 Abs. 3 Satz 1 GG sind die Haushalte von Bund und Ländern grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen. Artikel 109 Abs. 3 Satz 2 und 3 GG erlaubt Bund und Ländern Ausnahmen von dieser Regelung für konjunkturelle Auf- und Abschwünge sowie für Naturkatastrophen und Notsituationen. Nach Artikel 143 d Abs. 1 Satz 2 und 3 GG dürfen die Länder im Zeitraum bis zum 31.12.2019 von den Vorgaben des Artikels 109 Abs. 3 abweichen. Demnach gilt die Schuldengrenze für die Bundesländer ab dem Jahr 2020.

Einige Länder haben in ihren Landesverfassungen bereits nachgezogen und eine Schuldenbremse in der Landesverfassung verankert. Das Land Baden-Württemberg gehört nicht dazu, was der Bund der Steuerzahler Baden-Württemberg sehr bedauert. Darüber hinaus haben einige Bundesländer eine Schuldenbremse in die Landeshaushaltsordnung aufgenommen. Leider hat die aktuelle Landesregierung das in der Landeshaushaltsordnung festgeschriebene Verschuldungsverbot aufgehoben. Das Haushaltsbegleitgesetz 2013/2014 beinhaltet eine entsprechende Änderung der Landeshaushaltsordnung. Die einzige Hürde, die bislang einem erneuten Marsch in den Schuldenstaat entgegenstand, ist damit gefallen.

Somit gehört das Land Baden-Württemberg zur unrühmlichen Gruppe derjenigen Bundesländer, die eine Schuldenbremse bisher weder in die Landesverfassung noch in die Landeshaushaltsordnung aufgenommen haben.

Dabei war die Zeit noch nie so günstig, die Konsolidierung des Landeshaushaltes voranzutreiben.  Baden-Württemberg eilt von einem Steuerrekord zum nächsten. Deshalb wäre es nur angemessen, wie in den beiden vergangenen Jahren die Nullverschuldung aufrechtzuerhalten.

Das geschieht jedoch nicht. Eines der wirtschafts- und steuerstärksten Bundesländer marschiert weiter in den Schuldenstaat. 3,3 Mrd. Euro Neuschulden enthält der neue Doppelhaushalt für 2013/2014. Der Schuldenstand beläuft sich je nach Abgrenzung des Schuldenbegriffs auf rund 45 Milliarden Euro. Das ist unverantwortlich gegenüber den nachfolgenden Generationen. Dies gilt umso mehr, wenn man sich die Haushaltsbelastung durch die Zinsbelastung vergegenwärtigt. Derzeit werden rund 2 Milliarden Euro pro Jahr benötigt, um den Zinsverpflichtungen nachzukommen und dies bei einem sehr niedrigen Zinsniveau.

Der Bund der Steuerzahler begrüßt es deshalb außerordentlich, dass die FDP/DVP Fraktion einen erneuten Gesetzesentwurf einbringt, um die Schuldenbremse des Grundgesetzes in der Landesverfassung zu verankern. Die Zielsetzung ist klar: Die Nullverschuldung muss schnellstens erreicht und neue Grenzen der Verschuldung unverrückbar in der Verfassung festgeschrieben werden. Den nachfolgenden Generationen nur Schuldenberge, Pensionslawinen und eine ungünstige Demografie zu überlassen, entspricht nicht dem Generationenvertrag und dem, was man seinen Kindern und Enkeln hinterlassen will. Soweit die finanzpolitische Beurteilung.

Kommen wir nun zum Gesetzesantrag der FDP/DVP: In der Anhörung des Jahres 2007 hatten wir uns auf ein Gutachten unseres Finanzwissenschaftlichen Instituts – damals noch das Karl-Bräuer-Institut – berufen und gefordert, die bestehende Kreditgrenze im Grundgesetz und in den Landesverfassungen auf mittlere Sicht durch ein grundsätzliches Verbot der Kreditaufnahme zu ersetzen, das nur in wenigen außerordentlichen Fällen durchbrochen werden darf.

Dieses grundsätzliche Kreditaufnahmeverbot beruht auf der Erfahrung, dass die Übertragung des privatwirtschaftlichen Investitionskalküls auf die öffentlichen Investitionen weitgehend verfehlt ist. Zumeist ist nämlich weder die Selbstfinanzierung öffentlicher Investitionen noch die Generationengerechtigkeit ihrer Kreditfinanzierung gewährleistet. Hinzu kommt, dass auch dann Generationengerechtigkeit hergestellt wird, wenn jede Generation ihre Investitionen im vollen Umfang selbst finanziert.

Vom grundsätzlichen Kreditaufnahmeverbot lässt unser Vorschlag nur zwei Ausnahmefälle zu:

Der Ausnahmefall Nr. 1 ist ein Kreditbedarf infolge von Naturkatastrophen, Seuchen und Krieg. Das Land muss im Katastrophenfall (man denke an den Sturm Lothar) schnell und im benötigten Umfang Mittel aufnehmen können, um die erforderlichen Hilfsmaßnahmen zu finanzieren. Es ist deshalb nicht zu beanstanden, dass im Falle von außergewöhnlichen Notsituationen eine weitgehende Ausnahmeregelung von der Schuldengrenze gilt.

Der Ausnahmefall Nr. 2 ist eine Kreditfinanzierung, die einem eng begrenzten Ausgleich von konjunkturbedingten Mindereinnahmen und Mehrausgaben dient. Dadurch soll einer prozyklischen Haushaltspolitik entgegengewirkt und den automatischen Stabilisatoren in begrenztem Maße Raum gegeben werden. Andererseits sollten konjunkturbedingte Mehreinnahmen zur Schuldentilgung verwendet oder in Konjunkturausgleichsrücklagen eingebracht werden.

Während die konjunkturbedingte Verschuldung begrenzt wird durch das konjunkturbedingte Defizit, ist es im Falle von Naturkatastrophen und außergewöhnlichen Notsituationen praktisch unmöglich, den unbedingt erforderlichen Kreditbedarf zu ermitteln und beitragsmäßig zu begrenzen. Umso bedeutender ist die Vorgabe des Grundgesetzes, dass eine „entsprechende Tilgungsregelung“ vorzusehen ist, wenn die Ausnahmeregelung in Anspruch genommen wird.

Das grundsätzliche Kreditaufnahmeverbot bei zwei Ausnahmefällen ist in Ihrem Gesetzentwurf enthalten. Deshalb begrüßt der Bund der Steuerzahler den Gesetzentwurf incl. Ihrer Festlegung, die Nettoneuverschuldung deutlich früher zu erreichen, als von der Landesregierung vorgesehen. Nach den bisherigen Plänen und der Neuregelung des Landeshaushaltsgesetzes ist vorgesehen, dass zum Ausgleich des Haushaltes bis einschließlich des Haushaltsjahres 2019 Kredite aufgenommen werden dürfen. Diese Zielsetzung ist nur wenig ambitioniert, denn ab 2020 gilt die Schuldengrenze des Grundgesetzes. Das Erreichen der Schuldenbegrenzung vor dem genannten Zeitraum wird vom Bund der Steuerzahler in jeder Form unterstützt. Es ist auch vorteilhaft, weil Zinszahlungen eingespart werden, die zusätzlich anfallen, wenn das Ziel erst 2020 erreicht wird.

Bei Ausnahmeregelungen besteht immer die Gefahr des Missbrauchs. Im Ausnahmefall der Kreditfinanzierung von konjunkturbedingten Mindereinnahmen und Mehrausgaben sind daher verschärfte Darlegungs- und Begründungspflichten vorzusehen. Dass hier ein relevantes Problem vorliegt, zeigt der Blick in die Vergangenheit. Auf Bundesebene wurde in den Jahren 2002, 2003 und 2004 eine übermäßige Kreditfinanzierung mit der Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts begründet. Weder Bundesbank noch Sachverständigenrat wurden im Vorfeld befragt, ob diese Auffassung geteilt wird. Ähnliches hat sich auch in Ländern vollzogen. Es wäre daher angebracht, wenn sich Baden-Württemberg in einer Ausführungsbestimmung dazu verpflichtet, die Einschätzung einer externen Institution hinsichtlich der konjunkturellen Entwicklung zu übernehmen.

Auch muss daran gedacht werden, eine prozentuale Obergrenze mit Verfassungsrang einzuziehen, um zu verhindern, dass dieser Ausnahmefall über die Maßen in Anspruch genommen und das grundsätzliche Verbot der Kreditfinanzierung von dieser Seite her umgangen und wirkungslos gemacht wird. Die Obergrenze für die Kreditfinanzierung konjunkturbedingter Mindereinnahmen und Mehrausgaben sind nach unserer Auffassung für den Bund und die Länder auf insgesamt 3 Prozent des BIP festzusetzen.

Zudem ist die Tilgungsverpflichtung zur Voraussetzung für jede Kreditaufnahme, also für beide Ausnahmefälle, zu machen. Zugleich mit der Ermächtigung zur Kreditaufnahme ist ein verbindlicher Tilgungsplan zu verabschieden, in dem sich das Land verpflichtet, entsprechende Haushaltsüberschüsse zeitnah zu erwirtschaften.

Beachtet werden muss auch, dass ein Missbrauch der katastrophenbedingten Verschuldung nicht ausgeschlossen ist. Der Bund der Steuerzahler schlägt daher vor, dass in der Landesverfassung festgeschrieben wird, dass die katastrophenbedingte Kreditaufnahme im Parlament einer Zweidrittelmehrheit bedarf.

Diese Forderung erfolgt auch vor dem Hintergrund, dass die eigentlich restriktiven Regelungen des § 18 der Landeshaushaltsordnung in Baden-Württemberg durch einfache Mehrheit im Parlament ausgehebelt werden konnte.

Für eine enge Begrenzung der Kreditaufnahme ist eine zeitnahe Überwachung der öffentlichen Haushalte und der Kreditfinanzierung erforderlich. Die Überwachung lässt sich durch die Einsetzung eines unabhängigen Finanzstabilitätsrates (jetzige Zusammensetzung: Bundesfinanzminister, Finanzminister der Länder und der Bundeswirtschaftsminister) verbessern. Dieser Rat sollte im viertel- bzw. halbjährlichen Abstand für den Bund und die Länder die Haushaltsentwicklung, vor allem auch im Hinblick auf die Einhaltung der Kreditgrenze, analysieren sowie bei Fehlentwicklungen Warnung aussprechen und Korrekturen vorschlagen.

Zusätzlich ist die verfassungsrechtliche Prüfung der Kreditfinanzierung ein wichtiger Ansatzpunkt für die Schuldengrenze. Die höchstrichterliche Kontrolle ist künftig zu intensivieren und zu stärken. Hierzu könnte der Landesrechnungshof einen entscheidenden Beitrag leisten. Seit Jahren dokumentiert und kritisiert der Rechnungshof die übermäßige Verschuldung. In der Denkschrift 2012 hat der Rechnungshof gefordert, das Verschuldungsverbot in der Landesverfassung zu verankern.

Deshalb schlagen wir vor, dem Rechnungshof ein spezifiziertes Antragsrecht einzuräumen, mit dem ein Normenkontrollverfahren zur Kreditfinanzierung beim Verfassungsgericht in Gang gebracht werden kann. Zudem ist dafür Sorge zu tragen, dass eine verfassungswidrige Kreditaufnahme für den Haushaltsgesetzgeber auch konkrete Sanktionsfolgen hat. Wir schlagen vor, dass in dem Fall, dass der Staatsgerichtshof eine unzulässige Kreditaufnahme feststellt, die rückgängig gemacht werden muss. Dazu muss die Kreditobergrenze des laufenden Haushalts um den Betrag der unzulässigen Kreditaufnahme reduziert werden.

Erlauben Sie mir auf zwei weitere Punkte hinzuweisen:

Es besteht die grundsätzliche Gefahr, dass das Land Baden-Württemberg daran denken könnte, dem Verbot der strukturellen Verschuldung dadurch auszuweichen, dass die entsprechenden Kredite nicht mehr selbst aufgenommen werden, sondern von Sondervermögen und sog. Extrahaushalten. Daher schlägt der Bund der Steuerzahler vor, dass Baden-Württemberg die Finanzierung von Sondervermögen an das Verbot der strukturellen Neuverschuldung anpasst. Kreditermächtigungen, die in der Vergangenheit Sondervermögen erteilt wurden, sollten spätestens zum 31.12.2019, bei zeitigerem Einhalten der Schuldenbremse zum 31.12.2015, zurückgenommen werden und statt dessen eine Finanzierung dieser Sondervermögen aus dem Landeshaushalt erfolgen. Sollte dies nicht möglich sein, sollten zumindest keine neuen mit Kreditermächtigungen ausgestatteten Sondervermögen und Extrahaushalte beschlossen werden.

In diesem Zusammenhang problematisch erscheint auch, dass die Kommunen nicht direkt in die Schuldenbremse einbezogen werden. Gleichwohl stehen die Länder in der Verantwortung für etwaige Defizite der Kommunen. Es muss verhindert werden, dass sich Baden-Württemberg über die Gemeinden – also indirekt weiterhin – strukturell verschulden könnte, indem z. B. die Beteiligung der Gemeinden am Aufkommen von Landessteuern verringert wird oder Zuweisungen gekürzt werden, so dass diese Gemeinden praktisch gezwungen werden, Mindereinnahmen mit Krediten auszugleichen.

Lassen Sie mich abschließend unsere Hauptforderungen nochmals zusammenfassen:

1. Die bestehende Kreditgrenze in der Landesverfassung ist durch ein grundsätzliches Kreditaufnahmeverbot zu ersetzen.

2. Von diesem verfassungsrechtlichen Gebot soll es lediglich zwei Ausnahmen geben: Zum einen ein Kreditbedarf infolge von Katastrophen, Seuchen und Krieg, zum anderen eine Kreditfinanzierung zum Ausgleich von konjunkturbedingten Mindereinnahmen und Mehrausgaben.

3. Für die Kreditfinanzierung konjunkturbedingter Mindereinnahmen und Mehrausgaben wird eine verfassungsrechtliche Obergrenze für die Gebietskörperschaften von insgesamt 3 Prozent des BIP festgesetzt.

4. Für den Ausnahmefall der Kreditfinanzierung in Folge von Katastrophen sollte die Verfassung die Zustimmung einer 2/3-Mehrheit des Parlaments und die gleichzeitige Verabschiedung eines verbindlichen zeitnahen Tilgungsplans vorsehen.

5. Zur Verbesserung der öffentlichen Haushalte und der Kreditaufnahme dürfte die Einsetzung eines unabhängigen Finanzstabilitätsrates maßgeblich beitragen.

6. Um die verfassungsrechtliche Überprüfung der Kreditaufnahme zu verstärken wird empfohlen, dem Rechnungshof ein Antragsrecht einzuräumen, ein Normenkontrollverfahren zur Kreditfinanzierung beim Verfassungsgericht in Gang zu bringen.

7. Für den Fall einer verfassungswidrigen Kreditaufnahme ist eine Regelung zu installieren, die den Haushaltsgesetzgeber zwingt, die unzulässige Kreditaufnahme rückgängig zu machen.

8. Eine Auslagerung der Neuverschuldung in Sondervermögen und in die Kommunen sollte verhindert werden.

Soweit unsere Vorschläge, die weitgehend im Gesetzesvorschlag enthalten sind. Deshalb unser besonderer Dank an die Fraktion, die diesen Gesetzesvorschlag eingebracht hat.

Vielen Dank.