Pressemitteilung

28.Juli 2009

Wetzel: Der größte Arbeitgeber der DDR war der Staatssicherheitsdienst

Unrechtsstaat war kein Sozialidyll, sondern eines der größten Freiluftgefängnisse – In einer Landtagsdebatte mit dem Titel „Erinnerung an DDR-Diktatur wachhalten“ sagte der justizpolitische Sprecher der FDP/DVP-Landtagsfraktion, Dr. Hans-Peter Wetzel, unter anderem (es gilt das gesprochene Wort):

„20 Jahre nach der friedlichen Revolution und dem Mauerfall hat das Geschichtsbewusstsein, was die DDR angeht, einen Tiefpunkt erreicht. So meinen zu viele Jugendliche: Helmut Schmidt und Helmut Kohl seien DDR-Politiker gewesen. Erich Honecker habe in der Bundesrepublik regiert. Die Alliierten, d. h. hauptsächlich die USA, hätten die Berliner Mauer gebaut. Die schreckliche Realität der DDR wie Stasi, Todesstrafe bis 1987 und Misswirtschaft: Fehlanzeige! Die DDR wird teilweise als Fabelland gesehen. Die DDR sei keine Diktatur gewesen, sondern die Menschen hätten sich wie überall nur anpassen müssen. Die SED-Diktatur wird fälschlicherweise als Sozialidyll, als Kinder- und Umweltparadies gesehen.Diese Schilderrungen geben nur einige erschütternde Ergebnisse eines For-schungsprojekts SED-Staat der Freien Universität Berlin wieder. Gefragt wurden Schülerinnen und Schüler in Berlin sowie in vier weiteren Bundes-ländern. Gefragt wurde auch, wo der Volksaufstand stattfand und wo bis 1987 die Todesstrafe Gesetz war. Dass die Antwort DDR war, glauben nur 17 % der Schüler in den neuen und 26 % der Schüler in den alten Bundes-ländern. Aus mangelndem Faktenwissen ergibt sich ein Geschichtsbild der DDR, das keinerlei Maßstäbe hat für eine Unterscheidung zwischen Demokratie und Diktatur. Ganz problematisch ist aber: Nach einer neuen Umfrage wollen 40 % der Ostdeutschen dem Sozialismus eine neue Chance geben und sogar 50 % wünschen sich Errungenschaften aus der DDR zurück.Besonders problematisch wird die ganze Situation jedoch dadurch, dass auch führende SPD-Politiker die DDR-Diktatur verharmlosen, verniedlichen und zur Folklore erklären. Im Übrigen wird eine Fortsetzung der von mir soeben zitierten Studie von Professor Klaus Schroeder von einigen SPD-Ländern bewusst boykottiert. Die Bundesländer Brandenburg, Berlin und auch Rheinland-Pfalz beteiligen sich an der Studie nicht. Ich finde es unerträglich, wenn der Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern, Erwin Sellering, behauptet, die DDR sei kein Unrechtsstaat gewesen. Wörtlich der Ministerpräsident: „Ich verwehre mich dagegen, die DDR als totalen Un-rechtsstaat zu verdammen, in dem es nicht das kleinste bisschen Gutes gab (…)“. Und weiter Sellering: „Die alte Bundesrepublik hatte auch Schwächen, die DDR auch Stärken.“Ganz ähnlich äußerte sich die SPD-Bundespräsidentenkandidatin, Gesine Schwan. Sie meinte kurz vor der Wahl, sie lehne die Bezeichnung „Unrechtsstaat“ für die DDR ab, weil der „diffus“ sei. Der Begriff, „impliziert, dass alles unrecht war, was in diesem Staat geschehen ist. So weit würde ich im Hinblick auf die DDR nicht gehen.“ Vergleichbar äußerte sich auch der ehemalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD), wenn er meinte: „Dass man die DDR immerfort an den Begriff Unrechtsstaat bindet, halte ich für überflüssig.“ Auch der Änderngsantrag der SPD und der Grünen relativiert und verharmlost die Rolle der SPD. Sie war nicht „federführend“, sondern hat alle diktiert und drangsaliert, auch die sogenannten Blockflöten.Es ist menschlich, unangenehme und schlechte Erlebnisse zu verdrängen und zu vergessen und die guten Erlebnisse zu verklären. Selbstverständlich denken die meisten Menschen gerne an die schönen Seiten ihrer Jugend zu-rück – selbst wenn sie diese in einer Diktatur verbracht haben. Doch auch solche positiven Erinnerungen können nicht das Unrecht ungeschehen machen, das gleichzeitig anderen, vielleicht auch ihnen selbst, zugefügt wurde. Denn wie viele Lebenswege verbaute der SED-Staat jungen Menschen, weil er zum Beispiel bekennende Christen oder andere Abweichler von der Staatsdoktrin nicht studieren ließ. Doch auch vielen anderen wurde die gewünschte Ausbildung von oben herab verweigert. Durch das Verdrängen der dunklen Seiten wird aus der DDR noch lange kein Rechtsstaat.Folgend einige Zahlen zum SED-Staat DDR: 18 Mio. Menschen waren Insassen eines der größten Freiluftgefängnisse. Wer die innerdeutsche Grenze unerlaubt passieren wollte, wurde erschossen. Beim Versuch, die DDR-Grenze zu überschreiten, wurden zwischen 700 und 800 Menschen von Volkspolizisten oder von automatischen Schießanlagen ermordet. Wer plan-te, die DDR zu verlassen, wurde wegen des Verdachts auf Republikflucht meistens zu Freiheitsstrafe verurteilt. Die wichtigste Säule im Herrschafts- und Repressionssystem der DDR war die Verweigerung der Reisefreiheit. Der größte Arbeitgeber in der DDR war der Staatssicherheitsdienst, die Stasi. Bei ihr waren 1989 rund 91.000 hauptamtliche Mitarbeiter beschäftigt, mehr als bei der regulären Volkspolizei. Hinzu kam ein Heer von Informanten, die sogenannten „inoffiziellen Mitarbeiter“ (IM), deren Zahl teilweise bis auf 180.000 gesteigert wurde. Rechtsstaatliche Prinzipien wurden nur vorgespielt. Die Gerichte wurden durch SED und Stasi manipuliert. Die DDR-Gerichte fällten bis 1987 in politischen Verfah-ren 209 Todesurteile, von denen 142 vollstreckt wurden. Für insgesamt 33.755 politische Gefangene endete das Gefängnis mit einem „Freikauf“ durch die Bundesrepublik. Man muss schon ein besonders nachgiebiges und großzügiges Verständnis für die DDR haben oder auf dem linken Auge blind sein, um angesichts dieser erschütternden Fakten einen Unrechtsstaat in Zweifel zu ziehen.Was war die DDR denn sonst? Ein kleiner Unrechtsstaat, ein bisschen Unrechtsstaat? Selbst wenn die Kinderbetreuung gut war – die DDR vorgetäuschte Vollbeschäftigung hatte, die Mieten günstig waren, die Menschen sich gegenseitig halfen -, wird dadurch der Stasi-Überwachungs- und Einsperrstaat nicht beseitigt und nicht besser. Es ist dringend erforderlich, dass es bei uns eine intensive Auseinandersetzung in Schule und Gesellschaft mit der DDR-Diktatur gibt. Wir müssen allen Menschen in Deutschland den Unterschied zwischen einer Diktatur und der Demokratie klar und verständlich machen. Wer hier die Grenzen verwischt oder relativiert, gefährdet unseren Rechtsstaat und damit unsere Freiheit. Ein verzerrtes Bild von der DDR, gerade bei den jungen Menschen, unterwandert unsere Demokratie.Ich bin daher Kultusminister Rau dankbar, dass er in unseren Schulen das Wissen über die DDR stärken will. Dies hat er bereits in der Antwort auf die Große Anfrage der CDU und FDP angekündigt und nunmehr auch umgesetzt. Der Kultusminister hat alle Schulen aufgerufen, die DDR-Geschichte in Projekttagen zum Gegenstand des schulischen Lernens zu machen. Das neue Internetportal „Die DDR im Unterricht“ wurde eingerichtet, es bietet Lehrkräften kostenlose Unterrichtsmaterialien und Informationspakete. Landesweite Fortbildungskampagnen zum Thema „20 Jahre friedliche Revolution in der DDR“ werden vorbereitet. Natürlich können die Schulen nicht alles leisten. Die Aufklärung über die beiden Diktaturen auf deutschem Boden ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Wir alle sind aufgerufen und gefordert, unser Kinder und Enkel über unsere Geschichte zu unterrichten. Nur wenn wir unsere Vergangenheit kennen, können wir auch unsere Zukunft gestalten. Sorgen wir also dafür, dass wir alle unsere Vergangenheit so wahrnehmen, wie sie war und nicht so, wie wir uns sie wünschen.

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